Nach dem Abi kommt erst einmal eine Pause, voll verdient!
Und gleichzeitig ist es Pflicht für alle Abiturienten, das Thema Berufsorientierung zeitnah anzugehen. Sofern nicht sowieso schon alles klar ist jedenfalls. Wir Eltern tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir nicht darauf drängen. Warum erfährst Du in diesem Blogartikel.
Prüfungsphase läuft
In allen Bundesländern laufen gerade die Abiturprüfungen.
Letztes Jahr habe ich ja schon gedacht: Was für ein Mist, in dieser Corona Pandemie ins Abitur zu gehen! Aber Jugendlichen, die jetzt “ran müssen”, sind doch wirklich nicht zu beneiden: Seit einem Jahr mehr schlecht als recht Unterricht, kaum persönliche Begegnungen und die Motivation? Muss aus Dir selber kommen.
Welcher Beruf passt zu mir? Nebensache im G8/ Corona Abitur
Dazu kommt für viele die Verdichtung auf G8. Stundenpläne, die voller sind als der Terminkalender meines Friseurs. Die Frage „welcher Beruf passt zu mir?“ kann bei dieser Taktung kaum einer für sich beantworten. Du vielleicht?
Dabei ist die Idee, erst einmal ein Gap Year einzulegen, im Moment auch keine gute. Denn selbst wenn wir die Pandemie in Europa bis zum Sommer irgendwie – einigermaßen – ein bisschen in den Griff bekommen: Reisen bleibt bis auf weiteres ein Thema, das schwer zu planen und noch schwerer umzusetzen ist.
Früher war alles besser!
Meine Kinder gucken mich ganz ungläubig an, wenn ich von meinem Abiturjahr 1989 (spätes Mittelalter, ich weiß) berichte. Im zweiten Halbjahr des 13 Jahrgangs hatte ich meinen Stundenplan vorausschauend durchoptimiert: 16 (!) Schulstunden, vier-Tage-Woche und viel Zeit, um in die Luft zu gucken.
Vor diesem Hintergrund stand ich der Verkürzung auf G8 ziemlich positiv gegenüber. Meine Luft sah nämlich aus wie Schweizer Emmentaler, ein bisschen Verdichtung also problemlos möglich.
Heute sehe ich das anders.
Wieviel Zeit braucht Berufsorientierung?
Das liegt auch daran, dass mein Sohn gerade den 11. Jahrgang eines G8 Gymnasium besucht und ich jetzt ganz praktisch erlebe, was ich theoretisch zunächst für sinnvoll erachtet hatte -in Anbetracht der vermeintlich zu vielen Zeit, die wir damals hatten.
Ich finde nicht, dass er sich überarbeitet. Allerdings: Wirklich viel Zeit für andere Sachen -inklusive Nichtstun- bleibt auch nicht. Einfach mal abhängen, mal darüber nachdenken, was man sich für seine Zukunft wünscht, was man beitragen und gestalten möchte in unserer Gesellschaft. Das ist natürlich immer ein wichtiges Thema, aber in dieser Lebensphase sollte es einen besonderen Stellenwert einnehmen dürfen.
Alle Türen offen, welch ein Luxus!
Mein Eindruck ist allerdings, dass die Jugendlichen das gar nicht so sehen können in Anbetracht der Zeit, die Schule heute eben in Anspruch nimmt. 34 Wochenstunden Unterricht hat ein Hamburger G8 Schüler, in anderen Bundesländern wird es nicht wesentlich anders aussehen. Hausaufgaben und Klausurvorbereitung exklusive.
Und im Ergebnis sehen wir Abiturienten, die zwar ihren Abschluss in der Tasche haben, aber überhaupt keinen Plan, was sie nach dem Abitur machen wollen. Die allgemeine Hochschulreife, der höchste erzielbare Schulabschluss, mit Betonung auf allgemein. Denn unklar ist oft genug alles, was über die Tatsache der Zugangsberechtigung hinausgeht. Welches Fach, welche Uni – Kein Plan. Reif wofür?
Aktuell spreche ich mit mehreren Jugendlichen, die ihr Abitur bereits im letzten Jahr gemacht haben. Einen Plan haben sie deswegen immer noch nicht. Ok, deswegen kommen sie ja zu mir, aber noch lieber hätte ich sie letztes Jahr beraten! Denn um eine Ausbildung oder ein duales Studium in 2021 zu beginnen, wird es jetzt ja auch schon wieder (zu) knapp. Doch nicht mehr alle Türen offen. Schade.
Berufsorientierung an den Schulen findet kaum statt.
46% aller Schüler fällt die Berufswahl schwer oder sehr schwer, fand die Allensbach Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung in 2014 heraus. Seitdem ist viel passiert. Berufsorientierung ist an allen weiterführenden Schulen fester Programmpunkt. Das ist eine wichtige Entwicklung in die richtige Richtung und manch eine Schule hat hier schon richtig viel auf die Beine gestellt.
Wäre da nicht die alles dominierende Corona Krise: Viele Schulen haben ihre Bemühungen zum Thema Berufsorientierung stark eingeschränkt oder sogar ganz eingestellt. Volle Konzentration auf die Kernfächer, frei nach dem Motto: Irgendwie die Schüler durchs Abitur bringen. Aber was kommt danach? kein Plan – so what?
Wenn man am Bahnhof steht, braucht man nicht auf ein Schiff zu warten, soll Einstein (?) mal gesagt haben. Wer sich unter den gegenwärtigen Bedingungen allein auf die fachlichen Anforderungen der Abiturprüfung konzentriert, wird nach Ende der Prüfungen eines nicht bekommen haben: Eine Eingebung, wie es nach dem Abitur weitergehen soll! Sag ich. Und dann?
Das ist nicht meine Beobachtung.
In den ersten Wochen genießen die Abiturienten sicher das Gefühl, einen großen Meilenstein erreicht zu haben. Mit Recht! Ausschlafen, Feiern (hoffentlich sehr bald wieder möglich!), nichts tun (da haben wir es wieder).
Danach ist es vielleicht ganz cool, erst einmal zu jobben und Geld zu verdienen. Man strengt sich an und bekommt Geld, einen konkreten Gegenwert also und keine abstrakte Rückmeldung in Form von mehr oder weniger gerechten Noten. Das kann sehr befriedigend sein. Erst mal.
Doch für alle, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden haben, wie es nach dem Abi weitergehen soll, wird aus diesen Wochen schnell ein Jahr. Man ist ja gut beschäftigt, Geld ist auch da, und schnell ist das Thema der Berufsorientierung in den Hintergrund gerückt. Da kann es dann auch ganz bequem bleiben, gelöst wird es dort in der Regel allerdings nicht.
Ich finde es okay, wenn sich der nächste Lebensabschnitt nicht direkt an das Abitur anschließt (wozu dann aber G8?). Blöd nur, wenn danach immer noch nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll. Das macht etwas mit einem. Wofür soll man sich engagieren, wenn keine Perspektive und kein Ziel da ist?
Jeder kennt diese latschigen Sonntage, an denen man nicht aus dem Quark kommt und der Schrittzähler den dreistelligen Bereich nicht verlässt. So weit ist es ja nicht vom Sofa zum Kühlschrank und zurück. Genießen kann man so was nur, wenn es sich um luxuriöse Ausnahmen handelt. Wenn wir nicht mehr wissen, ob Sonntag oder Mittwoch ist, dann lässt Interesse und Einsatzbereitschaft nach. Den Schalter wieder auf Montag zu legen, ist dann nicht mehr so leicht.
Deswegen ist meine Empfehlung ganz klar: Kümmer dich JETZT um das Thema Berufsorientierung!
Wenn Du jetzt in den Prüfungen steckst, dann kümmer Dich direkt im Anschluss an die Abiturprüfungen um das Thema Berufsorientierung! Selbst wenn es im Sommer oder Herbst nicht direkt weitergehen soll, brauchst Du eine Perspektive für danach!
Denn wenn um Dich herum immer mehr Deiner Freunde mit einem Studium oder einer Ausbildung starten und einen strukturierten Tagesablauf haben, dann wird es unbequem im Kopf, wenn Du selber noch keinen Plan hast: Alle anderen haben sich dann auf den Weg gemacht, haben ein Ziel, für dass sie sich einsetzen. Du nicht.
Pizza ausfahren, Nachhilfe geben, im Getränkemarkt Regale räumen -das alles verliert schnell an Attraktivität, wenn die Perspektive fehlt. Und Ausschlafen oder die Nacht zum Tag machen wird zum einsamen Geschäft, wenn die Kumpels um Dich rum morgens raus müssen (wollen!), weil sie den nächsten Step in Angriff genommen haben und Zocken bis nachts um 3 Uhr eben einfach nicht mehr drin.
Gerade berate ich eine Klientin, Abijahrgang 2020, die mir ein ums andere Mal das Einzel-Coaching absagt. Begründung: Sie müsse im Café jobben. Um ihren Plan umzusetzen, müsste sie allerdings ganz andere Prioritäten setzen
– Partnerunternehmen für das duale Studium finden
– Bewerbungsunterlagen vorbereiten
– Bewerbungen LOSSCHICKEN, und zwar dalli
Nicht ganz ausgeschlossen, dass der mühsam erarbeitete Plan in diesem Jahr nicht mehr umsetzbar ist. Was wird im nächsten Jahr passieren? Wird sie mit mehr Drive an die Sache herangehen? Wird es die potenziellen Partnerunternehmen überzeugen, dass sie dann zwei Jahre beim Bäcker gejobbt hat? Ich habe meine Zweifel.
Ich kann verstehen, dass man mit 20 nicht in diesen Dimensionen denkt, um so mehr ist es die Aufgabe von uns Eltern darauf zu drängen, das Thema Berufsorientierung nicht auf die lange Bank zu schieben!
Meine Bitte an alle angehenden Abiturienten lautet daher:
- Kümmer Dich unbedingt rechtzeitig um den nächsten Schritt, wann auch immer es weitergehen soll. Mach Dir einen Plan, wie du vorgehen willst.
- Auch eine Pause oder ein GAP Year sollte unter einem Thema stehen, mit dem Du Dich auseinander setzen möchtest. Dir schwebt ein sozialer Beruf vor? Dann suche Dir einen Job, bei dem Du Dich erproben kannst. Pizza ausfahren bringt Dich da nicht weiter.
- Nutze deine Zeit für die Auseinandersetzung mit deiner Persönlichkeit. Was zeichnet Dich aus? Und in welchen Berufen kannst Du damit besonders gut punkten?
- Probiere Dich unbedingt aus in Gebieten, die du noch nicht (so gut) kennst. Auch dafür kann man eine Pause gut nutzen: Einfach mal etwas Neues lernen. Auch darüber kannst Du Ideen bekommen, in welche Richtung Deine Reise gehen kann.
- Begrüße Langeweile! und bekämpfe sie nicht mit Netflix o.ä.: Du wirst erstaunt sein, wie viel Kreativität und Erkenntnisgewinn aus Langeweile entstehen kann.
Thema nächste Woche: Ausbildung, Studium, Duales Studium – wo liegen die Unterschiede für Dich
Das braucht noch einen cooleren Titel natürlich. Vielleicht hast Du einen Vorschlag?