Die Arbeitswelt verändert – Dich

Unsere Arbeitswelt ist im Umbruch, das ist unbequem für viele, die bereits viel Berufserfahrung vorzuweisen haben. Für alle, die jetzt starten, ergeben sich dagegen riesige Chancen, die Welt von Morgen mitzugestalten. Eltern und Kinder schauen ganz unterschiedlich auf diese Entwicklung.

Früher war alles besser?

Sommer 1990, bestes Strandwetter in Kiel. Philipp und ich kämpfen gegen die gähnende Langeweile,  mit der wir  eine weitere Pflichtstation unserer Ausbildung bei der Landesbank ertragen. Krawatten- und Kostümträger beugen sich tief über jede einzelne Seite der mitgebrachten Morgenzeitung oder beobachten den großen Zeiger, der sich mühevoll Richtung Mittag kämpft. Wir verkürzen unsere Leidenszeit, in dem wir einen bilateralen Schichtdienst einführen: Einer kommt früh und “sticht” für uns beide, steckt also die Zeitlesekarte in den personalisierten Schlitz des Lesegerätes. Dort wird die Sekretärin später kontrollieren, ob wir die vorgeschriebene Zeit und Kernarbeitszeit (!) eingehalten haben. Der andere bleibt am Nachmittag etwas länger (für uns beide), eine Hand wäscht die andere. In der Mittagspause vergessen wir, die Karten zu ziehen, verbringen zwei chillige Stunden an der nahegelegenen Förde. Schwer zu sagen, ob unser Ausbilder die nassen Haare wirklich nicht bemerkt hat.

Nach heutigen Maßstäben ist es kaum vorstellbar, so eine Ausbildungszeit durchzuhalten. Für Philipp und mich ist es rückblickend eine fast schillernde Zeit, Knutschen im Archiv inklusive.

Heute ist alles anders, aber ist es richtig?

Die Arbeitswelt heute sieht anders aus: Arbeitszeiten sind -wo immer möglich- flexibel. Die Aufgaben sind allerdings so verdichtet, dass nicht nur die Zeitung zu Hause bleibt. Kurz mal den Kopf in die Bürotür des Kollegen gesteckt, der heute Geburtstag hat. Prosecco war gestern. Deadlines müssen um jeden Preis gehalten werden, sonst sieht das Halbjahres-  oder schlimmer noch Jahresgespräch nicht gut aus und das macht sich dann spätestens auf dem Gehaltszettel bemerkbar. 

Auch in den Führungsetagen steigt der Druck, Ziele zu erreichen. Wesentliche Gehaltsbestandteile hängen davon ab. Zumindest in den höheren Gehaltsklassen wird Arbeitszeit häufig nicht mehr gemessen. Im Ergebnis erleben unsere Kinder häufig genug Eltern, die morgens zeitig das Haus verlassen, um abends nach 19.00 Uhr nach Hause zu schlurfen, total erledigt und für nichts mehr zu gebrauchen. 

DAS wollen sie nicht, unsere Kinder. Work-life-balance hat für sie nicht nur einen theoretischen Stellenwert. Und sie haben gute Chancen, dass sich ihre Träume erfüllen. Denn sie sind gefragt – wenn sie denn mal ausgebildet sind. Dem “war for talents” sei Dank. 

Mehr vom gleichen, nur schneller – das ist kein Erfolgsrezept in einem Land mit Lohnkosten, die mindestens im globalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig sind. Der eigentliche Wettlauf findet auch längst nicht mehr gegen andere Länder, sondern gegen neue Technologien statt: Mit Hilfe künstlicher Intelligenz und Robotisierung können immer mehr Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden, für die wir Menschen noch vor kurzen unersetzbar schienen. Im Gegensatz zu uns wird die Maschine nie müde, braucht weniger Wartungszeit als wir Urlaub und: Sie macht keine Fehler.

Irgendein Change ist immer…

Eindrucksvoll und mit einiger Gelassenheit können wir das in der Landwirtschaft nachvollziehen, denn das betrifft nur noch 1,5% von uns Beschäftigten. In den 50-er oder 60-er Jahren waren es noch 40%. Da auch noch Pferde die Maschinen übers Feld gezogen, geführt vom sogenannten Gespannführern. Das ist jetzt nicht sooo lange her, meine Mutter kennt das noch gut. Der Gespannführer musste sich dann aber schnell eine andere Arbeit suchen, denn was er mit 40 Kollegen damals auf einem Hof erwirtschaftet hat, macht der Landwirt heute selbst mit Hilfe einer Teilzeitkraft. Die dafür erforderlichen technisch hoch entwickelten Maschinen holt er von Raiffeisen, wie sich die Cloud in dieser Branche nennt.

Was sich erst einmal fürchterlich anhört, bietet riesige Chancen für unsere Kinder: Denn sie werden zukünftig daran arbeiten, kreative Lösungen zu finden, auch dort wo wir gar kein Problem vermuten. Schließlich hat früher auch niemand einen Bedarf dafür gesehen, Bücher online zu bestellen. Auch hatten wir kein Problem damit, den Überweisungsträger zur Bank zu bringen. Bis es neue Lösungen dafür gab, die dann -einmal implementiert- von der Maschine umgesetzt wurden. 

Diese Entwicklungen werden sich in Zukunft deutlich beschleunigen und dafür brauchen wir ganz andere Talente.

Den richtigen Weg finden – gar nicht so einfach!

Viele Unternehmen suchen händeringend nach mutigen Gestaltern, die diesen Umbruch voranbringen können. Davon gibt es allerdings viel zu wenige. Daher experimentieren Unternehmen mit neuen Arbeitsformen, die den Wünschen unserer Kinder möglichst gut entsprechen. “Du kannst Deinen Hund mitbringen” oder “Kinderfreundliches Unternehmen” liest man mittlerweile regelmäßig in den Online-Stellenanzeigen. Dabei sind sowohl Hund, Kinder, Online als auch die mittlerweile durchaus gängige Ansprache per Du für uns Eltern noch nicht ganz so selbstverständlich wie das mittelmäßige Kantinenessen unserer Firma.

Da ist zum Beispiel die Firma Rheingans GmbH aus Bielefeld, die ihren Mitarbeitern einen 5 Stunden Tag anbietet – bei gleichbleibenden Gehalt! Die Firma ist damit höchst erfolgreich, denn sie zieht damit attraktive Bewerber in das ansonsten nicht so gefragte Bielefeld. Da Kunden keine Wohltäter sind und keineswegs mehr bezahlen, nur um der Belegschaft den freien Nachmittag zu finanzieren, lässt Lasse Rheingans die Luft raus: Das private Smartphone bleibt aus, Meeting-Zeiten und E-Mail-Flut werden radikal reduziert, dafür mehr Gestaltungsfreiraum und Verantwortung beim Einzelnen. Jede Menge Disziplin und Fokus bestimmen nun den Arbeitsalltag, so entschieden vom Team. Die Rechnung scheint aufzugehen.

Und sonst so? Wie arbeiten wir morgen?

Auch Prof. Dr. Heike Bruch von der Universität St. Gallen beschäftigt sich intensiv mit der Arbeitswelt von morgen. Sie berichtet von Unternehmen, die neue Wege gehen, die den veränderten Anforderungen von Kunden und Mitarbeitern besser gerecht werden. Sie suchen nach Organisationsformen, die Mitarbeiter zu den innovativen Mitdenkern entwickeln, die sie brauchen, um auch in Zukunft am Markt zu bestehen. Tradierte Organisationsformen, wo zu viele Entscheidungen über die Hierarchie zu Tode abgestimmt und dann doch nicht entschieden werden, sind viel zu langsam. Und sie kommen auch nicht immer zu (den besten) Ergebnissen. Nicht jeder Versuch ist erfolgreich, aber es zeichnet sich bereits deutlich ab, dass unsere Kinder morgen anders arbeiten werden als wir es heute noch überwiegend tun:

  1. Arbeit wird zeitlich und räumlich flexibler sein, wo immer es geht. Damit kann ich meinen privaten Interessen besser gerecht werden, denen der Kunden aber auch. Bey-bey Kernarbeitszeit.
  2. Wir werden weniger in festen Teams und Hierarchien arbeiten, für verschiedene Aufgaben oder Projekte sind wir gegebenenfalls Mitglied unterschiedlicher Teams.
  3. Teams werden regelmäßig durch freie Mitarbeiter vom Markt verstärkt, die mit ihren Spezialkenntnissen das Team in genau dieser Phase gut voranbringen. Viel Spielraum für alle, die als Nomaden von einem spannenden Projekt zum nächsten wandern, ohne sich an ein Unternehmen binden zu müssen.
  4. Führungspositionen werden an Bedeutung verlieren und häufig auf ein spezifisches Thema beschränkt sein. Beim nächsten Projekt geht dann vielleicht der Kollege in die Führung – weil er besser für die dann anstehende Aufgabe geeignet ist.
  5. Teams werden sich sehr viel mehr selbst organisieren: Abstimmungsprozesse erfolgen dann nicht über die Hierarchie, sondern unter den Know-how Trägern direkt.
  6. Autorität hat der, der Ahnung hat. Das Eckbüro als Statussymbol verliert an Bedeutung.

Die Arbeitswelt von morgen – die größte Transformation ever!

In seiner Rede anlässlich der New Work Messe in der Hamburger Elbphilharmonie bezeichnet #Gerald Hüther die Transformation der Arbeitswelt als die größte Herausforderung seit der Mensch sesshaft wurde. Arbeit dient (schon lange) nicht mehr dem Broterwerb, sondern der Lebensgestaltung. Dafür braucht es aber eine Vorstellung darüber, wie ich in mein Leben gestalten möchte, wo ich mich einbringen und Mehrwert bieten kann. 

Wir Eltern dürfen unsere Kinder unterstützen bei der Suche nach ihrem Traumjob. Ein erster wesentlicher Schritt ist, das eigene Lebens- und Arbeitsgefühl zu hinterfragen: Gemäß der #Gallup Studie 2018 zur Arbeitsqualität machen 71% aller Befragten Dienst nach Vorschrift und nur 15% haben eine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. 

Doch wie immer, wenn sich etwas tut, hadern wir auch mit dem Neuen. Wir Eltern meist mehr als unsere Kinder. Konflikte sind da eigentlich schon vorprogrammiert.

Mehr zum Thema Berufswahl und Zukunftstrends

In meiner Arbeit als Coach für Berufsorientierung begleite ich (angehende) Abiturienten bei der Suche nach einer passenden und zukunftsorientierten Ausbildung bzw. Studium. Uns Eltern kommt in dieser Phase eine wichtige Rolle zu, denn allen Untersuchungen zur Folge, sind wir gefragte Ansprechpartner unserer Kinder in dieser Zeit. Nur hat uns darauf keiner vorbereitet…

Ich schreibe gerade ein Buch zu diesem Thema mit dem Titel:

Abi – und dann? Wie Eltern die Berufswahl unterstützen, ohne zu nerven

Dieser Blog Artikel ist ein Auszug aus dem Buch. Welche Gedanken hast Du zu diesem Thema? Ich freue mich über Deine Kommentare!

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